In English please! – neue Wege in der Berufsbildung

Gepostet 23.06.2017, Martina Tresch

Michèle Beck ist angehende Kauffrau – doch sie ist keine normale Lernende. Ihre Berufsbildung ist international ausgerichtet. Der Kanton Zug hat damit ein schweizweit einzigartiges Angebot geschaffen.

Michèle Beck ist angehende Kauffrau bei der Firma Roche Diagnostics International AG. Ihre Lehre ist international ausgerichtet. (© Martina Tresch-Regli)
Michèle Beck ist angehende Kauffrau bei der Firma Roche Diagnostics International AG. Ihre Lehre ist international ausgerichtet. (© Martina Tresch-Regli)

Er wirkt anmutig, der gläserne Turm der Firma Roche Diagnostics International AG in Rotkreuz. Er steht inmitten eines Komplexes von modernen Bauten, umgeben von einem weitläufigen Platz, der mit Bäumen und kunstvollen Objekten geschmückt ist. Zwei Herren und eine Frau in Anzug und mit Aktenkoffern betreten das Gebäude – mit einem Batch bedienen sie den Fahrstuhl in der Eingangshalle. Grosse schwarze Ledersessel stehen für Wartende bereit. Dann trotten einige Jugendliche durch den Eingangsbereich – in kurzen Hosen, T-Shirt und Sneakers.  Sie lachen, schwatzen. Eine weitere junge Frau betritt das Gebäude. Sie wirkt lässig in ihrer Jeansjacke und den Stoffschuhen. Es ist Michèle Beck, angehende Kauffrau im zweiten Lehrjahr. Nichts Aussergewöhnliches, könnte man meinen. Sie ist jedoch eine der ersten, die eine  international ausgerichtete Berufslehre macht.

Empfohlene Angebote

Neues Angebot in der Berufsbildung

Als schweizweit erster Kanton hat Zug ein neues Angebot in der Berufsbildung. Der Grund: Zug hat eine grosse Dichte an internationalen Firmen. Lernende werden aber nicht überall ausgebildet, da nicht alle Firmen das duale Bildungssystem der Schweiz kennen. Um dem entgegenzuwirken hat der Kanton die Berufsbildung international geschaffen. Soll heissen: Angehende Kaufleute sowie Informatikerinnen und Informatiker werden in der Berufsschule hauptsächlich in Englisch unterrichtet. Zudem machen alle Lernenden einen Sprachaufenthalt und arbeiten beispielsweise auch vorübergehend an einem Firmensitz im Ausland. Dass hauptsächlich Englisch gesprochen wird, findet Michèle Beck ganz gut. „So verliere ich meine Englischkenntnisse nicht gleich wieder.“ Die junge Zugerin hat vor ihrem Stellenantritt bei Roche nämlich ein Austauschjahr in den USA gemacht. Jetzt lernt sie zwar den selben Schulstoff, den auch andere angehende Kaufleute lernen, einfach in Englisch. Im Fach Wirtschaft, ja sogar im Turnunterricht wird ausschliesslich Englisch gesprochen. „Anfangs war ich schon etwas überfordert – ich dachte, mein Kopf explodiert.“ Viele neue Fächer, viel Stoff und dann auch noch alles in einer Fremdsprache. All das war eine grosse Herausforderung für die angehende Kauffrau.

„Man muss schon motiviert sein, alles auf Englisch zu lernen.“

KV-Lehre im E-Profil

Mittlerweile hat sich Michèle Beck an die Fremdsprache im Schulalltag gewöhnt. „Es klappt ganz gut. Schade ist einfach, dass wir Schülerinnen und Schüler untereinander meistens dann doch wieder Schweizerdeutsch sprechen.“ Sie würden in der Berufsschule wohl eher schräg angeschaut, wenn sie miteinander Englisch sprechen würden, meint Michèle Beck. 13 Schüler absolvieren die international ausgerichtete kaufmännische Ausbildung in Zug. Und zwar im Profil E. Das M-Profil, also die Berufsmatura, wurde im ersten Jahrgang des Pilotprojektes noch nicht angeboten; nun ist dies möglich jedoch in einem reduzierten Mass an Englisch, was bedeutet, dass teilweise in Deutsch unterrichtet wird. Dass sie die Berufsmatura nicht machen konnte, stört die junge Zugerin jedoch nicht. „Ich kann sie ja schliesslich auch noch nachholen.“ Viel wichtiger ist ihr das Englisch in der Schule – erst kürzlich konnte sie das Sprachdiplom Advanced erfolgreich absolvieren. Und die Fremdsprache begegnet ihr auch bei der Arbeit sehr oft – etwa bei Teammeetings. Oder aber auch am Firmensitz von Roche in den USA.

Motivation und fortgeschrittene Englischkenntnisse

Michèle Beck durfte nämlich einen einmonatigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten verbringen. Dort erhielt sie einen Einblick in ihre Firma und konnte erst noch ihre Sprachkenntnisse weiter verbessern. „Das war eine gute Erfahrung. Ich war auf mich alleine gestellt, was zwar manchmal recht einsam, doch sehr lehrreich war“, erzählt sie. Die Lehre im Modell„Berufsbildung International“ zu absolvieren kann die angehende Kauffrau denn auch nur weiterempfehlen. Doch sie hält fest: „Man muss schon motiviert sein, alles auf Englisch zu lernen. Empfehlenswert ist es sicher auch, bereits fortgeschritten in dieser Sprache zu sein.“ Dass gute Englischkenntnisse für diese Ausbildung von Vorteil sind, bestätigt auch Ausbildnerin Mariann Hegglin. Sie betreut die angehenden Kauffrauen und Kaufmänner bei derRoche Diagnostics International AG und findet das neue Angebot in der Berufsbildung im Kanton Zug sehr gut. „Es ist ein mutiges Projekt, das aber gut angelaufen ist.“ Sie schätzt es sehr, dass der Fokus bei diesem Projekt ganz bei den Lernenden liegt. „Man sieht ja oft, dass die Berufsbildung in Firmen eher nebenbei läuft. Doch bei diesem Ausbildungsmodell, aber auch bei unserer Firma dreht sich alles um die Lernenden.“

„Es ist ein mutiges Projekt, das aber gut angelaufen ist.“

„Kann eine Erfolgsstory werden“

134 Lernende zählt die Firma Roche derzeit am Standort Rotkreuz. Beim Unternehmen, das Diagnosegeräte für die Medizin herstellt, betreut die ausgebildete Personalfachfrau, Kursleiterin und Prüfungsexpertin die kaufmännischen Lernenden von der Schnupperlehre bis zum Lehrabschluss – und seit 2015 auch die Lernenden im Bereich international. Sie hofft, dass das internationale Berufsbildungsmodell vermehrt in Zug aber auch in andern Kantonen Fuss fasst. „Das Ziel ist es ja, dass einerseits internationale Firmen vermehrt Lernende ausbilden und somit die Berufsbildung noch attraktiver wird.“ Andererseits sollen die Kinder von englischsprachigen Mitarbeitenden so die Möglichkeit erhalten, eine Lehre zu absolvieren, anstatt beispielsweise eine Privatschule zu besuchen. Langsam aber sicher macht das neue Modell Schule – auch ist auch die Firma Glencore mit im Boot. Doch es brauche noch viel Zeit, bis sich das neue Berufsbildungsangebot etablieren könne. „Ich hoffe, dass auch weiterhin alle (Berufsfachschule, Lehrbetriebe, Eltern, Lernende) am gleichen Strick in dieselbe Richtung ziehen.“ Dann, so ist Mariann Hegglin zuversichtlich, „wird das eine Erfolgsstory werden.“

Das ist Berufsbildung international

Berufsbildung international Zug beinhaltet folgende Angebote: Eine kaufmännische Lehre (Kauffrau/Kaufmann EFZ) und zwei Lehren im Bereich Informatik (Informatiker/Informatikerin EFZ Applikation bzw.  Informatiker/Informatikerin EFZ Systemtechnik), die zu einem grossen Teil in Englisch absolviert werden. Wie der Kanton Zug, Initiant von Berufsbildung international, in einem Flyer festhält, richtet sich das Angebot sowohl an Jugendliche mit deutscher Muttersprache als auch an fremdsprachige Jugendliche. Gefordert werden dabei eine hohe Lernbereitschaft verbunden mit Motivation und einem Interesse an anderen Kulturen. Die neuen Berufslehren sind eidgenössisch anerkannt. Als Lehrbetriebe, hält der Kanton fest, kommen internationale Unternehmen und Schweizer Unternehmen mit internationaler Tätigkeit in Frage, in denen die Konzernsprache Englisch ist. Bei Bedarf werde interessierten Unternehmen der Lehrvertriebsverbund bildxzug als Partner zur Seite gestellt.

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